Ich arbeite häufig mit Unternehmen, deren Geschäft langfristig funktioniert und deren Kunden nicht gerne Risiken eingehen, weil sie selbst zu wenig von diesem Geschäft verstehen. In diesen Organisationen ist der Faktor Risikovermeidung im Geschäft mit den Kunden eine besonders wichtige Komponente. Dass sich das auf die Personen in der Organisation überträgt, ist eine gern ignorierte Tatsache, insbesondere, wenn es darum geht, ehrgeizige Unternehmensziele, z.B. Wachstumsziele zu erreichen. In der Realität sieht das dann so aus: Während Sie an der Unternehmensspitze versuchen, die Umsetzung ehrgeiziger Vorhaben voran zu treiben, wird gleichzeitig nach dem unausgesprochenen Prinzip geführt: Wer gut funktioniert und keine Fehler macht, kommt weiter. Wer nicht gut funktioniert und sich ungeschickt anstellt, wird ausgetauscht. Leider stellen aber ehrgeizige Ziele die meisten Menschen vor Aufgaben, die ihnen unbekannt sind und die ihnen unlösbar erscheinen. Keiner will das Risiko eingehen und diese Überforderung zugeben. Schon gar nicht Ihr Kollege in der Geschäftsleitung. Menschen, die in diesem Dilemma stecken, zögern oft, diskutieren viel, stellen die Höhe der Ziele in Frage, fordern die richtigen Schritte usw. Die Liste der Ausweichstrategien ist beliebig verlängerbar. Angesichts dieser Verhaltensmuster fragen Sie sich, ob Sie Ihre Strategie nicht überzeugend genug kommuniziert haben. Oder, schlimmer noch, Sie sind frustriert über so wenig Zustimmung zu Ihren Zielen. Beides macht keinen Sinn, denn der Grund für diese Ausweichstrategien ist Risikovermeidung.
Damit stellt sich die Frage: Wie kann man ein Unternehmen bewegen, in dem Risikovermeidung an erster Stelle steht?
Eine Lösung bieten die nachfolgenden zwei Umsetzungsstrategien:
1. Eine Strategie der kleinen Schritte umsetzen
2. Die "Machen wir uns nichts vor"-Strategie anwenden
Fakt aus 20 Jahren Change-Erfahrung ist, dass man ein Unternehmen, in dem Risikovermeidung dominiert, weder mit einer groß angelegten Change-Aktion, noch mit großartigen Versprechen und sicher nicht mit Bedrohungsszenarien bewegt. Menschen, die das Risiko scheuen, mit Überforderung, Unwissenheit und den daraus entstehenden Fehlern offen umzugehen, tun sich extrem schwer mit Veränderungen und damit, etwas Neues zu lernen. Das Risiko, Fehler zu machen, ist einfach zu hoch für sie. Diese risikoscheuen Menschen befinden sich auf allen Ebenen Ihres Unternehmens. Angesichts dieser Tatsache stelle ich die Frage: Wie sieht eine Veränderungsstrategie aus, die aus der Veränderung entstehende persönliche Risiken in Grenzen hält? Meine Empfehlung an Sie lautet: Probieren Sie es mit einer Strategie der kleinen Schritte, die bei jedem Einzelnen ansetzt, beginnend in der Geschäftsleitung. Wichtig ist, dass Sie in der Geschäftsleitung diese Strategie zunächst selbst lernen und sie anschließend Ihren Führungskräften beibringen. Im Unterschied zu anderen Veränderungsstrategien wird kein externer Trainer für die Schulung der Führungskräfte eingesetzt. Denn, was der Vorstand vorlebt und seinen Führungskräften beibringt, wird effektiver und nachhaltiger umgesetzt, als das, was externe Berater antrainieren.
Die Umsetzung der Strategie der kleinen Schritte beginnt, indem Sie sich zunächst für jede Ihnen direkt unterstellte Person - Geschäftsleitungsmitglied und Bereichsleiter - folgende Fragen stellen:
- Was muss er als Nächstes lernen, um mit den neuen Anforderungen in Zukunft gut fertig zu werden und was fehlt ihm dazu noch?
- In welchen alltäglichen Situationen wird er das in der nächsten Zeit brauchen?
- Welche kleinen, aktuellen Aufträge muss er dazu von mir bekommen, in denen das, was er lernen soll von ihm gefordert ist?
- Habe ich Gelegenheit bei der Umsetzung dabei zu sein?
Für diese vier Fragen brauchen Sie ca. zehn Minuten pro Person. Konzentrieren Sie sich bei Ihren Antworten immer auf das Naheliegende und machen Sie keine Grundsatzanalyse aus diesen vier Fragen, dann reichen die zehn Minuten leicht.
Erst wenn Sie diese vier Fragen der Strategie der kleinen Schritte für jede Person beantwortet haben, können Sie die "Machen-wir-uns-nichts-vor"-Strategie anwenden. Sehen Sie sich an, was mit Ihren Veränderungsaufträgen geschieht. Prüfen Sie, ob Ihre Aufträge auf die Art und mit dem Ergebnis umgesetzt wurden, wie Sie es erwartet haben.
Falls Ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden, lassen Sie sich nichts vormachen, genau jetzt besteht die Chance, Neues zu lernen. Hierfür müssen Sie Ihre Beobachtung möglichst sofort ansprechen und zuerst fragen, ob Ihr Kollege die Abweichung von den Erwartungen genauso sieht wie Sie. Machen Sie sich nichts vor, erst nach einem klaren "Ja" haben Sie eine gemeinsame Sicht zu der Abweichung von Ihrer Erwartung. Erst nach diesem "Ja" und mit einer gemeinsamen Sicht der Tatsachen können Sie den nächsten Schritt angehen und herausfinden, wie es zu der Abweichung von Ihrer Erwartung kam. Machen Sie sich auch an diesem Punkt nichts vor und denken, Sie würden den Grund für die Abweichung kennen. Ehrlich gesagt, Sie wissen es nicht. Eine objektive, ehrliche Analyse, wie es zu der Abweichung kam, ist aber die entscheidende Voraussetzung für eine nachhaltige Veränderung. Achten Sie dabei vor allem auf den Denkprozess und die Entscheidungen hinter den Aktionen Ihres Kollegen. Je besser ihre Analyse, umso klarer und besser motiviert ist die Verbesserung, die sich daraus ergibt. Je vorurteilsfreier Sie vorgehen, umso offener und dankbarer wird Ihr Kollege Ihre Unterstützung annehmen. Am Ende dieses Gespräches sollten Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen die nächste Gelegenheit ausmachen, in der die Verbesserung angewendet wird und falls erforderlich ein Follow up vereinbaren.
Je häufiger Sie diese "Machen-wir-uns-nichts-vor"-Strategie anwenden, desto besto und effizienter werden die Ergebnisse hieraus und umso größer werden die Verbesserungsschritte, die daraus entstehen.
Auf den Punkt gebracht
Die Umsetzungsstrategie bestehend aus 1. Der "Strategie der kleinen Schritte" und 2. Der "Machen-wir-uns-nichts-vor"-Strategie bietet eine effiziente Möglichkeit aus dem vermeintlichen Mysterium mangelnder Umsetzung herauszukommen. Durch das Erlernen der hierfür erforderlichen Fähigkeiten können Sie Ihren Kollegen helfen, wichtige Herausforderungen anzunehmen und neue Unternehmensziele können nachhaltig umgesetzt werden.
Ausblick
Oft wird übersehen, dass die Umsetzung von etwas Neuem neben Geld vor allem Zeit, d.h. Personalkapazität erfordert. Damit meine ich weniger die Zeit der Mitarbeiter, sondern viel mehr die Zeit der Führungskräfte. Neues erfordert in der Umsetzung, zusätzlich zur bestehenden Auslastung, die Zeit der Führungskräfte für Querabstimmung, Rückmeldung nach oben und vor allem Zeit für Mitarbeiter, die nicht so gut sind, wie es nötig ist. Wie Sie ausreichend Kapazität bei Ihren Führungskräften für die Umsetzung Ihrer Vorhaben schaffen, lesen Sie in der nächsten Leitlinie im Januar.
Herausgeber & Copyright: Johann Leitl
- Angebot ist in Arbeit -