Wenn man neu in ein Unternehmen kommt und unvoreingenommen den Berichten der Mitarbeiter und Führungskräfte über deren Zusammenarbeit zuhört, ist man sehr oft verwundert über das dabei entstehende Bild. Man fragt sich, wie es in diesem Unternehmen überhaupt gelingt, anspruchsvolle Produkte oder Leistungen zu erarbeiten, obwohl Mitarbeiter und Führungskräfte, um ihre Arbeit gut zu machen, offenbar nicht nur gegeneinander, sondern auch noch gegen Steuerungssysteme und Regeln kämpfen müssen. Kein Wunder, dass bei solcher Verschwendung von Zeit, Energie und Geld sowie gleichzeitigem Ersticken wertvoller Motivation unter dem Strich wenig Gewinn bleibt. Einer der Hauptgründe für diesem Kampf ist das sogenannte Silo-Denken. Das bedeutet, dass sich Geschäftsleitungsressorts und Abteilungen über alle Hierarchie-Ebenen (Silos) gegeneinander abgrenzen, so dass eine Zusammenarbeit sehr erschwert wird. Die Gründe für diese Abgrenzung sind vielfältig und tauchen in jedem Unternehmen in einer ganz einzigartigen Mischung auf. Häufige Komponenten dieser Mischung sind persönliche Ego-, Macht- und Profilierungsziele auf den obersten Führungsebenen, genauso wie Angst vor Fehlern, Zielkonflikte oder auch kulturelle Prägungen, die ihren Ursprung in der Unternehmensgeschichte haben.
Einige Symptome und Konsequenzen des Silo-Denkens sind leicht zu erkennen, vor allem im Zusammenhang mit der Zuteilung von Ressourcen und Budgets. Je undurchsichtiger die Entscheidungen hierüber sind, desto mehr sehen sich Bereichsverantwortliche gezwungen, sich zu profilieren, um irgendwie Einfluss auf diese Entscheidungen zu nehmen.
Ziel ist dabei, die Bedeutung des jeweils eigenen Bereichs hervorzuheben, um dann bei der Zuteilung bevorzugt behandelt zu werden. Hierfür wird versucht, Projekte und Aufgaben an sich zu ziehen, mit denen den Entscheidern die Wichtigkeit des jeweils eigenen Bereiches gezeigt werden kann. Dies wiederum gelingt am besten, indem anderen Bereichen Informationen vorenthalten und deren Mitarbeiter aus eigenen Vorhaben ausgeschlossen werden. Leider folgt aus solchem Verhalten, dass die Maßnahmen aus diesen Bereichen unausgereift, schlecht abgestimmt und Projektergebnisse unbefriedigend sind. Die Konsequenzen zeigen sich aber erst später, nämlich, wenn es Probleme bei der Umsetzung gibt und deshalb entweder aufwändige Nachbesserungen nötig werden oder gar das ganze Projekt erfolglos abgebrochen wird. Dieses Scheitern kann dann einfach der schlechten Zuarbeit durch die anderen ("gegnerischen") Bereiche angelastet werden.
Ein anderes häufiges Motiv für die Abgrenzung von Ressorts ist weniger leicht erkennbar: Es ist die Angst vor personellen Umbesetzungen und Reorganisation. Vor allem in Unternehmen, in denen Führungskräfte und Mitarbeiter in Zeiten von Reorganisation und Restrukturierung schlechte Erfahrungen gemacht haben, findet man Funktions- und Geschäftsbereiche, die es - aus Angst vor Fehlern und zum Schutz vor weiteren harten Eingriffen - geschafft haben, sich unabhängig und unangreifbar zu machen. Am häufigsten trifft man dies in der Produktion, in der IT und in erfolgskritischen Verkaufsbereichen an.
Auch den Kampf eines einzelnen Bereichs gegen den Rest des Unternehmens gibt es, wenn dieser eine privilegierte Stellung als "verlängerter Arm" des CEO erhält. Diese herausgehobenen Bereiche sind meist das Controlling, das Personalwesen oder auch der Organisationsbereich, das heißt Bereiche, die sich mithilfe von Kontroll- und Steuerungsmechanismen eine dominante, aber auch konfliktträchtige Stellung sichern. Für das Unternehmen können diese Silostrukturen zu einem immensen Mehraufwand führen: Intern zur Absicherung, für Gegenmaßnahmen und zur Rechtfertigung (etwa von Entscheidungen) und extern für Prüfer, Rechtsanwälte und Berater, z.B. um Konflikte zu bereinigen. Der weitaus größere Schaden für das Unternehmen besteht jedoch darin, dass diese Strukturen zu mittelmäßgen Leistungen führen und Innovationen verhindern. Keiner dieser Schäden und deren wirtschaftliche Folgen können direkt ermittelt werden. Der einzige Indikator ist eine dauerhafte Ertragsschwäche des Unternehmens, die aber auch leicht mit anderen Faktoren begründet werden kann.
Was geschieht, wenn nur die Symptome bekämpft werden?
Ganze Ressorts und Abteilungen dazu zu bewegen, ihre bisherigen - eigennützigen - Haltungen in Frage zu stellen, ist eine Herausforderung. Daher versuchen Unternehmensleitungen immer wieder aufs Neue, die Symptome und Folgen dieser Haltungen zu bearbeiten und möglichst zu beseitigen. Die gängigsten Rezepte dafür sind:
- Reorganisation der Führungsstruktur und Neuzuordnung der Abteilungen zu den Geschäftsleitungsressorts
- Projekte, in denen bereichsübergreifende Prozesse sowie Regeln für deren Einhaltung neu definiert werden
- Schnittstellen-Workshops von Abteilungen, deren Zusammenarbeit immer wieder zu Konflikten führt
- Interdisziplinäre Teams für strategische Projekte
- Socializing- und Outdoor-Events zum spielerischen Erlernen guter Zusammenarbeit
- Bereichsübergreifende Team-Trainings
- Jobrotation
- Kommunikationstraining
- Konflikttraining... und vieles mehr.
Oft werden solche Rezepte zum Kurieren der Symptome in jahrelangen Veränderungsprozessen angewendet. Mit meist bescheidendem Erfolg, denn das Vorgehen folgt einem bekannten Muster: Von der Problemanalyse bis zur Startphase der Umsetzung ist die Hoffnung groß, dass endlich eine grundlegende Verbesserung der Zusammenarbeit und damit der Ergebnisse gelingt. Da aber das Verhaltensmuster des hierarchischen voneinander Abgrenzens weiter bestehen bleibt, werden die eventuell erreichten Verbesserungen bald wieder zunichte gemacht. Das ganze Projekt verläuft im Sande. Nach einer Weile folgt ein weiterer "Neubeginn", natürlich mit neuen Rezepten. Oft kommt dieser Neubeginn nach einem personellen Wechsel in der Unternehmensleitung. Mitarbeiter, die schon länger im Unternehmen sind, erkennen dieses Muster. Ist es da verwunderlich, dass sie nur zögernd an Veränderungsprojekte herangehen, und sich mit der Zeit immer mehr in frustrierte Bedenkenträger verwandeln? Woran sollten sie bei einem erneuten Versuch erkennen, dass es sich diesmal lohnen könnte, sich doch zu engagieren?
Effektive Gegenstrategien
Um immer wiederkehrende, ineffiziente Muster aufzulösen, reicht es nicht, an deren Symptomen "herumzudoktern". Hier sind strukturell wirkende Ansätze nötig, die einen substanziellen und bleibenden Fortschritt in der Entwicklung einer Organisation ermöglichen. Bei der Auflösung von Silo-Denken geht es zunächst nicht um das Erlernen neuer Verhaltensweisen, sondern um das Beseitigen struktureller Hindernisse auf den obersten beiden Führungsebenen. Im Folgenden sind zwei effektive Gegenstrategien dargestellt:
1. Der Dialog der Ebenen
2. Die mentale Herausforderung
Der sogenannte "Dialog der Ebenen" ermöglicht den Beteiligten eine reale Arbeitserfahrung, in der das Silo-Denken ausgeschaltet ist. Dazu erteilt die erste Führungsebene der gesamten zweiten Führungsebene einen Auftrag, den diese als gesamte Gruppe und ohne Beteiligung der ersten Ebene lösen muss. Ein Beispiel für einen solchen Auftrag ist die Analyse eines unbefriedigend gelaufenen Projekts inklusive Herausarbeiten der daraus folgenden Konsequenzen. Weitere Beispiele können die Lösung von wiederholt auftretenden sachlichen Konflikten oder die Klärung wichtiger Vorgaben zur Erreichung langfristiger Ziele sein. Die Rückmeldung der Zwischenergebnisse und die Aufträge zu weiteren Bearbeitungsschritten erfolgen in Form eines Dialogs, bei dem in klarer Reihenfolge eine Ebene spricht und die andere Ebene zuhört. Die erste Ebene nimmt das Ergebnis und eventuelle Fragen der zweiten Ebene entgegen, klärt unter sich die Erfüllung des Auftrages und die Beantwortung der Fragen der zweiten Ebene. Alles zusammen geht dann inklusive offener Punkte zur Bearbeitung an die zweite Ebene zurück. Dieser Prozess kann über mindestens 1 Jahr hinweg neben dem operativen Geschäft oder im Rahmen von mehreren Führungsklausuren stattfinden. Ein positiver Nebeneffekt des Formats ist ein deutlicher Rückgang der Rückdelegation von der zweiten zur ersten Führungsebene.
Parallel zum Format "Dialog der Ebenen" erfolgt die "mentale Herausforderung". Diese richtet sich an die erste Führungsebene. Mentale Strukturen ändern sich nur durch Überdenken und daraus resultierender grundlegender Entscheidungen zur persönlichen Neu-Orientierung. Dazu bringt jedes Mitglied der Unternehmensleitung seine Überzeugungen auf den Tisch: Was er denkt, wie er Menschen dazu bringt, für ihn zu arbeiten, wie er seine übergeordnete Stellung festigt, wie er Risiken fernhält; wie er glaubt, sich am besten gegenüber seinen Kollegen durchzusetzen; was er darüber denkt, wie die Organisation am besten geleitet wird, und was er über Kritik an seinem Verhalten denkt. Die wichtigsten Überzeugungen werden dann in kritischer und provokativer Form auf ihren Wahrheitsgehalt und auf ihre Auswirkungen hin untersucht. Als ein Ergebnis dieser Überprüfung gewinnt man Klarheit über negative Auswirkungen der eigenen Haltung oder Einstellung. Dann kann die Fokussierung auf eine offene und unterstützende Haltung in der Zusammenarbeit auf der ersten Führungsebene erfolgen. Hierdurch lösen sich Silo-Denken und daraus resultierende Ressort- und Abteilungs-Egoismen in kurzer Zeit auf.
Herausgeber & Copyright: Johann Leitl
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