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Kontinuität -
Bremse oder Erfolgsfaktor?

Viele Veränderungsprozesse scheitern daran, dass beim Wunsch nach Veränderung, der Wunsch nach Kontinuität übergangen wird. Als Folge davon versuchen die Veränderer ihre Widersacher, die Bedenkenträger und Bremser ins Abseits zu stellen oder sich von ihnen zu trennen. Gewinner und Verlierer werden geschaffen. Das Betriebsklima und die Zusammenarbeit verschlechtern sich. Gute Gründe für den Ruf nach einem nächsten, besseren Veränderungsansatz mit mehr Führung. Gibt es am Ende nur ein Entweder-Oder zwischen Veränderung und Kontinuität?

Wie sich das Management zum Verlierer macht (1)

Folgendes Beispiel zeigt, was der Konflikt zwischen Veränderung und Konflikt bewirken kann. In einem Unternehmen, dessen Geschäft auf langjährige, vertrauensvolle Kundenbeziehungen aufbaut, hat über zehn Jahre hinweg die Geschäftsführung mehrmals gewechselt. Vorausgegangen war eine Phase langer Kontinuität, in der sich in allen Bereichen des Unternehmens Veränderungsbedarf aufgestaut hatte. Dann kam das erste, große Veränderungsprojekt. Führungskräfte-Workshops und Projektmanagement, alles wurde gemacht. Nach anfänglicher Euphorie gab es immer mehr Schwierigkeiten im Umsetzungsprozess und nach zwei Jahren trennte man sich zuerst von dem Projektleiter, einige Monate später von dem zuständigen Mitglied der Geschäftsführung. Alle atmeten auf und das Projekt war Geschichte. Etwas später kam ein neuer Geschäftsführer von außen, ein Hardliner, der die Überzeugung vertrat, dass sich nur mit hartem Durchgreifen etwas ändern wird. Auch er war nach zwei Jahren wieder weg. Der nächste Geschäftsführer kam wieder von außen und hatte eine vermeintlich bessere Veränderungsstrategie. Er positionierte vertraute Kollegen aus dem Unternehmen, in dem er vorher beschäftigt war um sich herum. Das hielt etwas länger. Aber auch er musste gehen. Zu Beginn seiner neuen Aufgabe dachter er das Gleiche wie jeder seiner Vorgänger: "Egal, was vorher geschehen ist, ich kann es besser". Stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein ist jedoch nicht das, worauf es hier primär ankommt.

Was wirklich wichtig ist

Der sich wiederholende Wechsel der Geschäftsführer zeigt, dass hier andere Faktoren im Spiel sind, die stärker wirken, als eine gut überlegte Auswahl eines neuen Geschäftsführers. Bei diesen Faktoren, die nur mit geschultem Blick auf Entscheidungen und Verhaltensweisen im Unternehmen zu erkennen sind, handelt es sich um Ziele und Werte, die in diesem Unternehmen besonders wichtig sind. Meistens sind dies andere Werte, als die, die in den Unternehmens- und Führungsleitbildern dieser Unternehmen stehen. Kontinuität ist einer dieser besonders starken Werte, dessen Wirkung in Veränderungsprozessen von vielen Managern einfach unterschätzt wird. Vor allem von denjenigen, die neu ins Unternehmen kommen.

Alles eine Frage des Geschäftsmodells

Die Analyse gescheiterter Veränderungen in Unternehmen zeigt, dass der Wert Kontinuität umso schwerer wiegt, je mehr Kontinuität eine entscheidende Rolle in der Kundenbeziehung und im Aufbau von Geschäft mit den Kunden spielt. Immer dann, wenn Produkte und Dienstleistungen über Jahre und Jahrzehnte hinweg halten müssen, was beim Verkauf versprochen wurde, immer dann beinhalten Veränderungen im Unternehmen ein echtes Geschäftsrisiko. Mitarbeiter und Führungskräfte, die lange im Unternehmen sind, wissen das und sehen sich den Kunden gegenüber in der Verantwortung an bisherigen Vorgehensweisen festzuhalten. Dagegen sehen neu von außen kommende Manager zuerst ihre Veränderungsaufgabe und neigen dazu auf ihre Durchsetzungsfähigkeit zu vertrauen. Das kann schief gehen, vor allem in Unternehmen mit einem langfristig orientierten Geschäftsmodell. Hier wiegt der Wert Kontinuität besonders hoch und wird sich gegenüber dem Veränderungswunsch des Managements durchsetzen, falls er keine entsprechende Berücksichtigung in der Veränderungsstrategie findet.

Wie sich das Management zum Verlierer macht (2)

Bei der Suche nach einer geeigneten Veränderungsstrategie neigen viele Manager sehr schnell dazu, das Problem bei denjenigen Menschen in der Organisation zu sehen, die sich schwer tun mit der aus Sicht des Managements notwendigen Veränderung. Wenn grundlegende Wertefragen, wie Veränderung versus Kontinuität dazu führen, dass die Menschen in der Organisation nach ihrer Präferenz für diese Werte eingeteilt werden, dann führt das wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung genau zu den persönlichen Widerständen, die diejenigen erwarten, die diese Personifizierungsstrategie anwenden. In ihrer Vorstellung sind diejenigen, die sich schwer tun mit der Veränderung das Hauptproblem, das durch eine entsprechende Change-Strategie und entsprechende personelle Maßnahmen gelöst werden muss. Tatsächlich bringen Manager mit dieser Haltung den Widerstand der Menschen, für die Kontinuität wichtig ist erst richtig zum Erwachen, obwohl viele dieser Menschen die Notwendigkeit für Veränderung zwar selbst sehen, aber noch keinen Weg sehen, wie sie selbst am besten damit fertig werden können. Wenn, wie in dem oben beschriebenen Beispiel, Veränderungsprozesse in einem Unternehmen auf diese Art und Weise schon mehrmals stattgefunden haben, geht der Wunsch nach Kontinuität jedes Mal weiter in den Untergrund. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass am Anfang des Veränderungsprozesses alle mitmachen, später jedoch wichtige Umsetzungsschritte ins Leere laufen lassen. Damit steht das Management als unfähig da, das Unternehmen in die Zukunft zu führen. Jetzt braucht nur noch jemand dafür sorgen, dass entsprechende Informationen beim Aufsichtsrat ankommen, damit dieser anfängt einzelne Mitglieder der Unternehmensleitung in Frage zu stellen.

Die Faktoren Zeitdauer und Intensität

Die entscheidende Voraussetzung für das Gelingen einer Veränderung in Unternehmen mit einem langfristigen Geschäftsmodell besteht darin, als erstes damit aufzuhören die Menschen in der Organisation in Stellvertreter für Kontinuität und für Veränderung einzuteilen. Erst wenn das geschehen ist, kann der zweite wesentliche Schritt folgen, sich vom Entweder-Oder-Denken über Kontinuität und Veränderung zu verabschieden. Der Veränderungsprozess kann nur mit einer hierarchischen Sicht, die danach fragt, welches dieser beiden konfliktären Ziele wichtiger ist, gelingen. In dem oben genannten Unternehmen ist Kontinuität eindeutig wichtiger als Veränderung. Daraus folgt, dass sich der Wunsch nach Veränderung an dem Wunsch nach Kontinuität orientieren muss. Folglich gibt es drei Möglichkeiten den Veränderungsprozess zu gestalten:
1. Kurz, intensiv und mit einer klaren zeitlichen Begrenzung, damit sich jeder auf eine zeitlich überschaubare Phase der Diskontinuität einstellen kann
2. Langsam und in kleinen vertretbaren Schritten, damit sich die Anzahl der Betroffenen und der Umfang der Betroffenheit jederzeit in einem überschaubaren und begrenzten Rahmen bewegt
3. In Form eines Pilotprojektes, das die Möglichkeit bietet die Veränderung inklusive der möglichen Bedenken und Risiken in einem klar begrenzten Rahmen zu testen
Die erstgenannte Strategie bietet sich vor allem dann an, wenn der Nachholbedarf groß ist und z.B. umfangreiche personelle Veränderungen erforderlich sind. Die zweitgenannte Strategie sollte in jedem anderen Fall als dauerhafte Strategie etabliert werden.

Beispiele für Kontinuität in der Veränderung

Es gibt Unternehmen, deren Produkte und Dienstleistungen sich immer wieder auf gravierende Veränderungen zum Beispiel im Kundenverhalten und in der Struktur der Vertriebskanäle einstellen müssen, wie z.B. im Modemarkt. Vor diesem Hintergrund ist es einfacher Veränderungsprozesse im Unternehmen erfolgreich zu gestalten, da sie für jedermann erkennbar sind. Es gibt aber auch viele Unternehmen bei denen gravierende Veränderungen im Markt eher selten vorkommen und für die Kontinuität einen wichtigen Erfolgsfaktor darstellt. Veränderungsdruck vom Markt ist hier nur schwer von innen erkennbar. Deshalb muss es der Geschäftsleitung in diesen Fällen gelingen, Veränderungen mit überschaubaren Umfang zu einem Dauerthema zu machen, das immer wieder aufs Neue spannend und lebendig gestaltet wird. Ziele für die kontinuierliche Umsetzung wichtiger Veränderungen gibt es genug: Offenheit im Umgang miteinander, Reduzierung von Energie- und Materialverschwendung, telefonische Erreichbarkeit, ständige Suche nach Produktverbesserungen oder Gesundheit und persönliche Fitness. Eine andere Form kontinuierlicher Veränderung besteht in der Durchführung gemeinschaftlicher Aktionen, die zu kleinen Veränderungen an jedem Arbeitsplatz führen, zum Beispiel in Form gemeinsamer Entrümpelungsaktionen.

Herausgeber & Copyright: Johann Leitl

 

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