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Ein blinder Fleck
in Changeprozessen

Je ehrgeiziger die Ziele von Changeprozessen in Unternehmen gesteckt sind, umso mehr zusätzlicher Aufwand und zusätzliches Engagement sind erforderlich, um diese Ziele zu erreichen. Für einen möglichst hohen Wirkungsgrad dieses Engagements spielt das Abgeben und Annehmen von Verantwortung eine besondere Rolle. Ein blinder Fleck im Umgang mit Verantwortung in einer Organisation kann zu einer unbewussten Verringerung des Wirkungsgrades führen. Es gibt Fakten anhand derer dieser blinde Fleck bewusst gemacht und aufgelöst werden kann.


"Unser Management will wieder was Neues"

Ein Unternehmen muss sich weiterentwickeln, um sich im Wettbewerb zu behaupten und Marktanteile zu halten und auszubauen. Eine der wichtigsten Aufgaben der Unternehmensleitung ist es deshalb, den Fortschritt im Unternehmen zu gestalten und voranzutreiben. Dies kann sowohl in kontinuierlichen kleineren Schritten erfolgen als auch von Zeit zu Zeit in Form einer umfangreichen Reorganisation. Durch Neugestaltung der Führungsstrukturen oder Neuausrichtung erfolgskritischer Bereiche, wie z.B. IT, Verkauf oder F&E wird versucht, Ineffizienz abzubauen, neues Geschäft aufzubauen oder Know-how zu bündeln. Aus der Verantwortung für die Entwicklung des Unternehmens wird die Notwendigkeit für diese Veränderungen in der Unternehmensleitung dringender empfunden als auf der operativen Ebene. Umgekehrt ist der Grad der persönlichen Betroffenheit durch die Veränderungen auf der operativen Ebene höher als auf der Ebene der Unternehmensleitung. Diese Unterschiede zwischen Verantwortung und Betroffenheit können zu missverständlichen Haltungen, falschen Vorurteilen, Distanz und konfliktären Verhaltensstrategien zwischen der Unternehmensleitung und der operativen Ebene führen. Der Satz aus Sicht der operativen Ebene "Unser Management will wieder was Neues" bringt dies beispielhaft zum Ausdruck. Für die Unternehmensleitung ist es wichtig, möglichst viele Mitarbeiter zum konstruktiven Mitmachen zu bewegen. Für die operative Ebene ist es wichtig, dass ihre Betroffenheit wahrgenommen und unterstützend damit umgegangen wird.

Commitment oder Verantwortung?

Da Changeprozesse meistens Top Down angelegt sind, führt dies automatisch dazu, dass der Wunsch des Managements, alle zum konstruktiven Mitmachen zu bewegen das Vorgehen im Changeprozess dominiert. Das heißt, es wird besonders auf überzeugende Kommunikation der Veränderungen geachtet, um das Commitment der Betroffenen zu erreichen. Commitment wird dann sehr oft über eine Art Verpflichtungserklärung hergestellt, mit der versprochen wird, die gewünschten Veränderungen wie geplant umzusetzen. Der sichtbare Beweis dafür sind eingerahmte Poster mit den Zielen oder Leitsätzen in Aufzügen, Gängen und Konferenzräumen mit den Unterschriften von Führungskräften und Mitarbeitern. Bei Commitment ist es jedoch schwer feststellbar, wieviel persönliche Substanz dahinter steckt. Es kann sein, dass es sich bereits bei den ersten Umsetzungsproblemen wieder auflöst. Ganz anders sieht das aus, wenn jemand Verantwortung für seinen Beitrag in einem Veränderungsprozess übernimmt. Das äußert sich z.B. darin, dass die betreffende Person Unterstützung einfordert, Unklarheiten hinterfragt oder Verbesserungen anregt. Sobald jemand Verantwortung übernimmt, muss kein Commitment zusätzlich eingefordert werden. Verantwortung hat Substanz und steht für Verbindlichkeit. Bei Commitment kann man das nicht sicher sagen. Genau an dieser Stelle haben Organisationen oft einen sogenannten blinden Fleck. Das heißt, es wird ausgeblendet, dass in der Organisation mehr auf Commitment als auf Verantwortung geachtet wird. Hinweise von außen auf diesen blinden Fleck ändern daran meist wenig. Das kann beispielsweise daran liegen, dass angenommen wird, die Zustimmung zu Veränderungen ist gleich zu setzen mit der Übernahme von Verantwortung. Oder es liegt daran, dass die Übernahme von Verantwortung nicht direkt angesprochen wird, um nicht misstrauisch zu wirken. Diese Kombination von Annahmen und vorsichtigem Vorgehen stabilisiert den blinden Fleck.

Wie man den blinden Fleck bewusst macht

Wie gelingt es in dieser Konstellation, den blinden Fleck in Bezug auf den Umgang mit Verantwortung aufzulösen, wenn nicht durch die Spiegelung inkonsistenten Denkens? Ein sehr wirkungsvoller Ansatz das Mindset in einer Organisation im Umgang mit Verantwortung veränderbar zu machen, besteht darin, das Denken zu Verantwortung in neutraler, vorwurfsfreier Form transparent zu machen. Dies geschieht am besten durch die Erfassung und Analyse der Aussagen, die im Changeprozess gemacht werden. In den Aussagen zeigen sich die Haltung und die Orientierung der entsprechenden Personen zum Umgang mit Verantwortung. Eine besonders gut geeignete Quelle für diese Aussagen sind Führungskräfteklausuren oder Workshops, in denen erreichte Ergebnisse und weitere Schritte eines Changeprozesses besprochen werden. Am besten eignen sich dafür Workshop-Phasen, in denen im Rahmen von Fragerunden oder Diskussionen jeder Teilnehmer aufgefordert wird, sich zum Zwischenstand oder zum Ergebnis des Workshops zu äußern. Die einzelnen Aussagen der Teilnehmer können dann von einem Beobachter oder Assistenten anonym oder personenbezogen erfasst und anschließend entsprechenden Kategorien zum Thema Verantwortung zugeordnet werden. Eine Kategorisierung ergibt sich aus der persönlichen Haltung zu Verantwortung. Es gibt einerseits Personen, die Verantwortung für ihre Aufgaben angenommen haben und entsprechend denken und handeln und andererseits Personen mit geringem Verantwortungsbewusstsein, die aus der Beobachter- und Bewerterposition heraus denken und handeln. Diesen beiden Haltungen können relativ leicht anhand einzelner Aussagen sichtbar werden.
Folgende Aussagen kommen aus einer verantwortungsbewussten Haltung: "Ich weiß noch nicht, wie ich das meinen Mitarbeitern klar machen soll", "Die offene Diskussion heute hat mir sehr geholfen", "Ich freue mich auf den neuen Job", "Ich muss jetzt loslassen und Kunden abgeben", "Muss das alles gleichzeitig gemacht werden?" Dagegen zeigen folgende Aussagen eindeutig einen Beobachterhaltung: "Wir sind auf einem guten Weg", "Das ist eine zukunftsfähige, mutige Organisationsstruktur", "Klingt spannend. Das gibt viel zu tun", "Weniger Hierarchie finde ich gut", "Ich hoffe, dass wir unsere Ziele im Blick behalten".
Mit der Verteilung der Aussagen auf die beiden Kategorien zeigt sich der blinde Fleck durch einen geringen Anteil an Aussagen in der Kategorie mit verantwortungsbewusster Haltung. Der Prozentsatz an Aussagen in dieser Kategorie ist damit ein faktenbasierter Indikator für den Grad der Umsetzung von Veränderungen. Je höher der Anteil von Aussagen aus der Beobachterposition, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit einer ineffizienten Umsetzung z.B. mit zu vielen Meetings, da viele Beobachter beteiligt sein wollen und es wichtiger ist mitgemacht, als etwas bewirkt zu haben.

Folgen für den Umgang mit Verantwortung

Erst mit dem faktischen Beweis über die Aussagen der Beteiligten eines Changeprozesses wird der blinde Fleck zum Thema Verantwortung ernst genommen. Dies zeigt sich daran, dass Verantwortung vom Management zunehmend offener und direkter angesprochen und hinterfragt wird. In der Umsetzung von Changeprozessen gibt es zahlreiche Gelegenheiten dafür: Unvorbereitete und ineffizient geführte Meetings, überzogene Termine, ungenügender Informationsaustausch, kurzfristiges Absagen oder Verschieben von Abstimmungsterminen, usw. In jedem dieser Fälle wird sich herausstellen, dass sich die verantwortliche Person ihrer Verantwortung nicht bewusst ist oder aus einem unklaren Verständnis zur eigenen Verantwortung heraus gehandelt hat. Die effektivste Form, den Grad an verantwortungsbewusstem Denken und Handeln in einer Organisation zu vergrößern, ist das direkte Ansprechen von Personen oder Teams, bei denen die Ergebnisse, für die sie verantwortlich sind, nicht den Erwartungen entsprechen. Pauschales Ansprechen von Verantwortungsdefiziten in gemischten Gruppen von Führungskräften oder Mitarbeitern macht wenig Sinn. Wie immer beim pauschalen Problematisieren von Verhalten in gemischten Gruppen denken die meisten, nicht sie, sondern ihr Nachbar sei davon betroffen oder die Teilnehmer einer Gruppe nehmen sich gegenseitig in Schutz. Beim persönlichen Adressieren von unbefriedigenden Ergebnissen zeigt sich gering ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein meistens gleich zu Beginn in Form von Ausreden, Entschuldigungen, Besserungsversprechen und Ausflüchten.
Durch das kontinuierliche Ansprechen steigt der Grad an verantwortlichem Denken und Handeln. Das wirkt sich sofort auf die Effizienz der Organisation aus. Meetings werden kürzer und deren Häufigkeit nimmt ab. Ergebnisse werden pünktlich oder bereits vor dem Termin geliefert. Das führt dazu, dass die Motivation steigt, bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen klaren Umgang mit Verantwortung herzustellen.
 
Herausgeber & Copyright: Johann Leitl

 

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