Nur ganz selten kommt eine persönliche Krise überraschend und ohne vorherige Alarmsignale. Dies gilt insbesondere für persönliche Krisen der einzelnen Mitglieder einer Unternehmensleitung oder des CEO. Vor allem unter den Alphatieren in der Unternehmensleitung ist eine besonders ausgeprägte Neigung feststellbar, diese Alarmsignale zu verdrängen. Ein typischer Entwicklungsprozess, der sich aus der Verdrängung dieser Alarmsignale ergibt, zieht sich mindestens über ein Jahr, meistens länger hin und sieht wie folgt aus: Die ersten Alarmsignale sind wiederkehrende Probleme im eigenen Unternehmensressort, z.B. Probleme mit einer wichtigen, aber schwierigen Führungskraft, Probleme mit der Erreichung von Vertriebszielen oder immer wiederkehrenden Verzögerungen wichtiger Projekte. Die zweiten Alarmsignale sind direkte Hinweise und Unterstützungsangebote der Kollegen in der Unternehmensleitung. Die dritte Stufe von Alarmsignalen sind offene Vorwürfe und emotional geladene Diskussionen in der Unternehmensleitung. Die vierte Stufe ist die Durchführung eines Strategie- oder Change-Projektes mit einem Unternehmensberater. Die fünfte und häufig letzte Stufe vor der Trennung ist die Entscheidung, einen persönlichen Coach hinzuziehen. Bis zur dritten Stufe halten viele der Betroffenen an der Überzeugung fest, das Problem bei den anderen Beteiligten oder in den widrigen Umständen zu suchen und sie weisen alles, was sich gegen sie richten könnte von sich. Erst im Laufe der vierten Stufe dreht sich der Fokus um 180 Grad, weg von den anderen, hin zu ernsthaften, selbstkritischen Fragen wie z.B. "was hat das mit mir zu tun?", "was sollte sich bei mir ändern?", "macht das Sinn für mich?".
Ohne Konfrontation geht es nicht
Auf die ersten Schritte ernsthafter Selbstreflexion folgen meistens Versuche, das eigene Verhalten zu verbessern, z.B. nach Feedback zu fragen, besser zu kommunizieren, weniger Druck zu machen. Mit etwas Disziplin und der Angst vor weiterer Verschlechterung gelingt es den meisten, diese Verbesserungen in die Tat umzusetzen. Sobald die ersten Auswirkungen dieser Verbesserungen beobachtbar werden, setzt die Hoffnung ein, dass man auf einem guten Weg sei und sich die Verbesserung verstetigt. Dies erweist sich jedoch in vielen Fällen als Trugschluss, sobald erkennbar wird, dass die Wirkung der eigenen Veränderung nachlässt und sich die Problemlage im eigenen Ressort nicht verbessert, sondern eher noch weiter verschlechtert hat. Um sich selbst und andere zu beruhigen, werden weitere Versuche der Verhaltensoptimierung angegangen, obwohl an dieser Stelle bereits klar ist, dass weitere Versuche der Verhaltensoptimierung immer wieder zum gleichen, unbefriedigenden Ergebnis führen und keinen Sinn machen. Insbesondere Alphatiere wehren sich dagegen, diese Erkenntnis an sich heran zu lassen.
In diesem Fall steigen die Chancen, die erforderliche Veränderung zu erreichen nur noch mit dem Grad der Konfrontation. Je klarer, direkter und schonungsloser die schwierigen Verhaltensmuster und ihre negative Wirkung jetzt angesprochen werden, umso eher besteht eine Chance, dass dieses Feedback ernst genommen wird. Mit der Stärke der Konfrontation wird natürlich auch der Veränderungswille getestet. Sind der Wunsch nach Klarheit und der Veränderungswille nicht stark genug, führt die Konfrontation sehr schnell zum Abbruch des Veränderungsprozesses. Im anderen Fall ist das ernsthafte Annehmen der Konfrontation der erste Schritt zu einer wirksamen, persönlichen Veränderung sowie zu den angestrebten Verbesserungen im eigenen Ressort.
Auch nach diesem ersten, ernsthaften Schritt der Öffnung für Veränderung macht es noch keinen Sinn zu hoffen, dass die Konfrontation zu mehr Konsequenz in der Verhaltensänderung führt. Vielmehr ist die aus einer erfolgreichen Konfrontation gewonnene Motivation zur Veränderung erforderlich, um in einem zweiten Schritt zu verstehen, was einen wirklich antreibt. Dabei geht es nicht um oberflächlich erkennbare Motive wie Macht, Reichtum und Einfluss, sondern um feste, individuelle Überzeugungen zum Selbstbild, zum Verhalten anderer oder darüber, wie Ereignisse zu bewerten sind. Im Folgenden sind einige der besonders häufig vorkommenden Überzeugungen und ihre Folgen aufgeführt:
- Wenn jemand von der Überzeugung getrieben ist, einen positiven Eindruck von sich selbst aufrecht zu halten, wird diese Personen immer Dinge tun, die einen möglichst tollen Eindruck hinterlassen, die jedoch wie ein Strohfeuer schnell wieder ihre Wirkung verlieren. Sobald es für diese Personen schwierig oder besonders aufwändig wird, suchen sie sich schnell andere, interessante Aufgaben, mit denen sie sich profilieren können.
- Wenn jemand von der Überzeugung getrieben ist, dass bestimmte Verhaltensweisen anderer für ein gutes Zusammenarbeiten erforderlich sind, werden sich diese Personen immer wieder über Kollegen ärgern, die sich nicht daran halten und sie werden sich schnell in Konflikten mit diesen Kollegen wiederfinden. Ihr Umfeld wird folglich von einer überdurchschnittlich hohen Fluktuation gekennzeichnet sein, denn es gibt nur wenige, mit denen sie wirklich gut zusammenarbeiten können.
- Wenn jemand von der Überzeugung getrieben ist, die einzige Person zu sein, die potentielle Risiken gut erkennen kann, wird diese Person versuchen, so viele dieser gedachten Risiken wie möglich durch Regeln und Kontrollen zu vermeiden und Maßnahmen zu ergreifen, die andere davor bewahren sollen, sich selbst zu schaden. Im Umfeld dieser Personen wird es folglich wenig Eigeninitiative und Innovation geben. Es wird um den Erhalt von Bewährtem gekämpft und es wird wenig Fortschritt geben.
- Wenn jemand von der Überzeugung getrieben ist, dass sein Leben einen bestimmten Zweck erfüllen soll, werden diese Personen sich ständig fragen, ob sie genug getan haben, diesen Zweck zu erfüllen. Sie werden deshalb mehr als andere dazu neigen, Leerlauf zu vermeiden und sich und andere mit zu vielen Aufgaben überfordern. Es ist schwer, die Ansprüche dieser Personen zu erfüllen. Leerlauf ist für sie nicht akzeptabel, da es für sie Vergeudung wertvoller Zeit darstellt.
Jede dieser Überzeugungen hat zur Folge, dass Teile der Realität ausgeblendet bleiben und deshalb kein klarer Bezug zu sich selbst oder zum eigenen Handeln hergestellt wird. Viele Veränderungsstrategien würden in diesem Fall das Ziel verfolgen, diese Überzeugunge zu widerlegen und zu entkräften. Diese Strategien bergen jedoch wenig Aussicht auf dauerhafte Veränderung, denn Überzeugungen, die sich über lange Zeit eingeprägt haben, können nicht einfach gelöscht werden. Sie bleiben bestehen. Ein wesentlich geeigneterer und sinnvollerer Weg, mit diesen Überzeugungen umzugehen ist es, sie nicht abzulehnen, sondern sie wie ein persönliches Handicap zu akzeptieren. Durch wiederholtes Vergegenwärtigen eigener Erlebnisse aus allen Lebensbereichen kann man sich darüber im Klaren werden, wie diese Überzeugungen immer wieder das gleiche Verhaltensmuster erzeugen. Durch dieses Erkennen und Verstehen der eigenen Verhaltensmuster sowie das Akzeptieren der Überzeugungen, die immer wieder zu diesen Verhaltensmustern führen, gewinnt man die persönliche Freiheit zurück, den Fokus des eigenen Handelns selbst zu wählen und nicht mehr Getriebener dieser Überzeugungen zu sein. Das gilt insbesondere für die Erreichung der eigenen Ziele. Je besser das eigene Handicap bei den eigenen Schritten zur Erreichung der Ziele einbezogen wird, umso realistischer kann man dadurch z.B.
- das Risiko möglicher Rückschläge sehen und darauf vorbereitet sein
- sehen, was man kontrollieren kann und was nicht
- mit den eigenen Gefühlen umgehen und sich nicht von den Gefühlen beherrschen lassen, die aus oben genannten Überzeugungen entstehen
- mit Feedback zu dem eigenen Handeln umgehen und es öfter einfordern, um dadurch ungeeignetes Handeln schneller zu korrigieren
Jedes dieser Beispiele zeigt, wie durch das oben beschriebene Vorgehen persönliche Klarheit und Realitätsbezug wieder hergestellt werden kann. Dies ist die wichtigste Voraussetzung für effektive Entscheidungen und effektiveres Handeln.
Herausgeber & Copyright: Johann Leitl
- Angebot ist in Arbeit -