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Führung mit Bodenhaftung

Angenommen die Mitarbeiter in einem Unternehmen haben die Wahl zwischen einem Management, das ihre Leidenschaft weckt und einem Management, das ihnen Bodenhaftung gibt. Für wen werden sie sich entscheiden? Viele werden wahrscheinlich zuerst in Richtung Leidenschaft tendieren, dann aber doch nachdenklich werden. Mit Leidenschaft zur Arbeit zu kommen, ist natürlich das wesentlich attraktivere Ziel. Sich die Attraktivität dieses Ziels zunutze zu machen, kann jedoch das Management dazu verführen, die Bodenhaftung zu verlieren. Wie gelingt es, Bodenhaftung in der Führung zu halten und trotzdem Leidenschaft zu wecken?

Die Grundlage von Führung mit Bodenhaftung

Wer die oben aufgeworfene Frage für sich beantworten und ein passendes Vorgehen finden will, der fängt am besten bei sich selbst damit an. Wer Bodenhaftung hat, steht bildhaft gesprochen mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen und möchte den Tatsachen ins Auge blicken, auch wenn sie unangenehm sind. Vielen Führungskräften geht diese Eigenschaft oft ungewollt verloren, je weiter sie in der Hierarchie aufsteigen. Die Symptome sind leicht zu erkennen, z.B.:

- Zunehmende Unklarheit über die eigene Wirkung auf andere
- Zunehmende Selbstüberschätzung
- Zunehmende Entfremdung von den Mitarbeitern an der Basis
- Abnehmende Bereitschaft zur Selbstreflektion
- Einseitige, positive Beschreibung der Situation im Unternehmen
- Abstrakte Aussagen und Diskussionen über die Lage und die Zukunft des Unternehmens
- Die "Es-kann-nicht-sein-was-nicht-sein-darf"-Haltung
- Sich selbst Dinge erlauben, die man unterstellten Mitarbeitern nicht erlauben würde
- Unrealistische Überzeugungen und Annahmen, z.B. über Motivation und die Wirkung von finanziellen Anreizen

Je mehr von diesen Symptomen zutreffen, umso weniger spielt sich das eigene Denken in der Realität ab, sondern in einem Wunschdenken oder in einem übersteigerten Risikodenken. Beide Entwicklungen sind langfristig schädlich für den Erfolg des Unternehmens. Wunschdenken führt zu Überforderung und zu unrealistischen Zeitplänen. Übersteigertes Risikodenken führt dazu, alles kontrollieren zu wollen und das führt wiederum zu mehr Vorschriften und übertriebenem Absicherungsdenken. Je länger diese beiden Entwicklungen bereits im Unternehmen anhalten, umso mehr sieht sich die Unternehmensleitung selbst als Opfer dieser Entwicklungen und tut sich schwer, ihren eigenen Anteil an deren Entstehung zu sehen. Das heißt, es braucht viel Offenheit oder große Probleme, um verlorengegangene Bodenhaftung in der Unternehmensleitung wieder herzustellen. Dazu müssen Haltungen, Annahmen und Überzeugungen, wie in den oben aufgeführten Beispielen auf den Tisch, um überprüfen zu können, welchem Zweck sie dienen und welchen realen Bezug sie haben. Je besser dieser "Reality Check" gelingt, umso authentischer und vertrauensvoller wird die Unternehmensleitung wahrgenommen und es wird damit die Grundlage für Führung mit Bodenhaftung im gesamten Unternehmen geschaffen.

Passt Führung mit Bodenhaftung und Motivation zusammen?

Wer diesen Weg gehen will, stellt sich jedoch gegen viele weit verbreitete Überzeugungen dazu, wie Motivation im Unternehmen aufgebaut und gesteigert werden kann. Diese Überzeugungen lauten z.B.

- Die Unternehmensziele und die Vision des Unternehmens müssen die Menschen begeistern.
- Sage lieber nichts dazu, wie weit das Unternehmen noch von der Vision entfernt ist.
- Formuliere die Vision und die Unternehmensziele lieber vage und abstrakt, dann bekommst du mehr Zuspruch.
- Stelle die Lage und den Fortschritt des Unternehmens möglichst positiv dar.
- Lasse die kritischen Dinge lieber weg, sie demotivieren die Menschen im Unternehmen.
- Sprich mit Mitarbeitern vor allem über deren Ziele und sage nichts dazu, was du denkst, wie weit jemand noch von dem Ziel entfernt ist, denn das könnte ihn davon abhalten, das Ziel anzunehmen.
- Sei besonders freundlich zu deinen Kollegen und Mitarbeitern, auch wenn du mit deren Verhalten, mit deren Zusammenarbeit oder mit deren Arbeitsergebnissen nicht zufrieden bist.
Bei Kosteneinsparungsprojekten sind viele dieser Überzeugungen dann genau umgekehrt ausgerichtet. Es wird mehr über die Probleme des Ist-Zustandes und weniger von den Zielen gesprochen. Der Ist-Zustand wird dann oftmals eher schlechter dargestellt, als er tatsächlich ist.
Der gemeinsame Nenner dieser Überzeugungen lautet: Die Stimmungs- und Motivationslage in einem Team oder im ganzen Unternehmen kann mit dem bewussten Weglassen oder Hinzufügen von Informationen beeinflusst werden. Mit Bodenhaftung hat das nichts zu tun. Das ist unehrlich und es ist manipulativ. Führung mit Bodenhaftung hingegen beinhaltet gute menschliche Werte, wie Offenheit, Ehrlichkeit und Mut, die Dinge beim Namen zu nennen. Echte Motivation entsteht dabei aus drei Elementen:
(1) Einem konkreten Wunsch bzw. einem konkreten Ziel, das ein Einzelner, ein Team oder ein ganzes Unternehmen erreichen will.
(2) Dem genauen Ausgangspunkt zu diesem Wunsch oder Ziel
(3) Der Diskrepanz zwischen (1) und (2)

Führung mit Bodenhaftung bei (1) heißt, dass mit dem Wunsch ein echtes Wollen und keine Verpflichtung oder ein äußerer Zwang verbunden ist, an der Realisierung dieses Wunsches zu arbeiten. Und es heißt, dass dieser Wunsch real vorstellbar und nicht ein Symbol oder eine Metapher oder eine Sehnsucht weckendes Gleichnis ist. Das häufig verwendete Zitat von Antoine de Saint-Exupery "Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer" hat nicht viel mit Bodenhaftung zu tun. Mit Sehnsüchten zu arbeiten ist eher etwas für Werbeagenturen, als für Unternehmensleitungen.
Führung mit Bodenhaftung bei (2) heißt, es kommt bei der Beschreibung der Ausgangsituation alles zur Sprache, was für eine genaue Bestimmung der Entfernung zum Ziel wichtig ist, nicht mehr und nicht weniger. Dazu gehört alles, was wir im Zusammenhang mit dem Ziel bereits wissen und können, sowie alles, was wir dazu nicht wissen und nicht können.
Führung mit Bodenhaftung bei (3) heißt, den Ausgangspunkt (2) und das Ziel (1) in einem direkten Zusammenhang zu nennen und nicht den Ausgangspunkt weg zu lassen, damit das Ziel nicht zu weit weg erscheint. Nur wenn Ziel und Ausgangspunkt in einem direkten Zusammenhang genannt werden, entsteht ein Spannungsbogen, der wie ein Strom-Generator echte Motivation zum Handeln erzeugt. Wird nur das Ziel genannt und die Ausgangssituation zum Ziel weggelassen, funktioniert dieser Generator nicht. In diesem Fall wird die anfängliche Motivation das Ziel zu erreichen nicht in Motivation zum Handeln übersetzt. Darüber hinaus verdeckt das Weglassen der Ausgangssituation unterschiedliche Sichtweisen zum Ausgangspunkt, was zu zeitraubenden Diskussionen über den richtigen Weg zum Ziel führen kann.

Leidenschaft wecken oder Führung mit Bodenhaftung?

Wenn Leidenschaft synonym für eine hohe eigenständige Motivation steht, dann wird aus den bisherigen Ausführungen deutlich, dass es keinen Widerspruch zwischen Führung mit Bodenhaftung und dem Wecken von Leidenschaft gibt. Vielmehr ist das Entstehen von Leidenschaft eine Folge von Führung mit Bodenhaftung. Damit dies gut gelingt, braucht es noch einige weitere Fähigkeiten:

- Dran bleiben und den Spannungsbogen (3) halten, bis das Ziel erreicht ist.
- Geduld haben, Zeit geben und Rückschläge einkalkulieren.
- Mit kleinen Zwischenetappen und Erfolgen anfangen und Schritt für Schritt die Anforderungen steigern.
- Fokussierung auf so wenig Vorhaben wie möglich

Diese Fähigkeiten kommen insbesondere von einer Unternehmensleitung, die mit Bodenhaftung führt und die selbst Leidenschaft für die Erreichung ihrer Ziele mitbringt.

Herausgeber & Copyright: Johann Leitl

 

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